von T. Austin-Sparks
Kapitel 2 - Die göttliche Reaktion
Lass uns einige der Hinweise etwas genauer betrachten hinsichtlich einer echten Krise zur Zeit, als Paulus diese Briefe an Timotheus schrieb. Wir haben uns den ersten Gesichtspunkt dieser Krise gemerkt: den unmittelbar bevorstehenden Abschied und Rückzug des Apostels von der Bühne. Zweifellos schrieb Paulus weitgehend aus diesem Grunde. Die Dinge, die er Timotheus zu sagen hatte, sagte er vorwiegend deshalb, weil er wegging. Sie mussten gesagt werden, weil die Verantwortung nun andern überlassen wurde, in besonderer Weise dem Timotheus. Es bedeutete eine sehr große Veränderung, dass Timotheus und die treuen Männer, die Paulus erwähnte (2. Tim. 2,2), das Werk und die Verantwortung übernehmen sollten, dass sie den Platz einnehmen sollten, den Paulus bisher innehatte. Und so legte der Apostel eine sehr schwere Last auf Timotheus und auf die andern, wegen seines nahe bevorstehenden Abschieds.
Dann nahmen wir auch jene Abkehr von Paulus zur Kenntnis, auf die er sich bezieht. All jene, die in Asien waren, hatten sich von ihm abgewandt; sie waren nicht mehr bereit, Paulus zu folgen, sie standen nicht mehr bei ihm in der Wahrheit und teilten den Vorsatz nicht mehr, für den er sein Leben hingegeben hatte, sie waren der Offenbarung nicht mehr länger treu, die Gott ihm gegeben hatte. Vielleicht hatten sie einfach keine angemessene Wahrnehmung davon, was für eine große Sache da durch Paulus aufgekommen war. Denn es ist schwer, zu glauben, dass jemand, der eine echte Wahrnehmung von der Größe jener Dinge hatte, sich einfach so wegwenden konnte. Jedenfalls, wie immer es sich verhalten mochte, sie verließen Paulus, was bedeutete, dass sie auch das verließen, was Paulus zu verwirklichen getrachtet hatte.
Die Gefahr moralischer LaxheitFerner fingen wir auch an, die Veränderung in Richtung einer geistlichen Entwertung zu beachten, wie sie durch den Inhalt dieser Briefe angezeigt wird. Ich werde euch nicht zu jedem Fragment und zu jedem Abschnitt hinführen, in dem auf diese Dinge hingewiesen wird, aber man hat ja diese Briefe in kurzer Zeit gelesen, und so möchte ich vorschlagen, nachdem wir dies aufgezeigt haben, dass ihr sie aufs Neue aufschlagt und sie noch einmal sorgfältig lest. Lest sie wieder und wieder. Der Apostel spricht da von einigen Dingen, die schlimmer als traurig und kummervoll sind - sie sind regelrecht böse. Es haben sich Dinge eingeschlichen und unter Christen Raum gewonnen, wie etwa moralische Laxheit - Sorglosigkeit im moralischen Wandel und in Beziehungen; ein echtes Zeichen für eine Absenkung des geistlichen Temperaments, der Temperatur, des Standards. Zumindest der Anfang davon, soweit es die Gemeinde und das Christentum betrifft, lassen sich in diesen Briefen nachzeichnen. Im Grunde sagt der Apostel: «Diese beiden Dinge können nicht zusammen gehen: Geistlichkeit - eich echtes, wahres geistliches Leben - und moralische Laxheit».
Vielleicht denkt ihr, dies sei ein schrecklicher Gegenstand, um ihn auch bloß zu erwähnen. Ich weiß nicht, ob das so ist, aber die Welt ist ein schrecklicher Ort, ein wirklich schrecklicher Ort, wenigstens moralisch gesehen, und doch müssen wir alle hier leben. Die Atmosphäre ist voll davon, die Zeitungen sind voll davon, und es ist nicht immer leicht, sich gegen diese Atmosphäre, wenn nicht sogar diese Art von Leben, zu wehren. Sie schmeichelt sich einfach ein, und sie ist ein sehr, sehr hartnäckiges Mittel, das der Teufel benutzt, um das geistliche Leben zu ruinieren. Der Feind hat keine Skrupel, das Volk Gottes auf der Linie der moralischen Laxheit einzufangen, und wenn es ihm gelingt, dann hat er ihr Zeugnis zerstört.
Ihr erinnert euch, dass wir unser letztes Kapitel damit begonnen haben, auf die Stiftshütte als den Schrein des Zeugnisses Gottes hinzuweisen, und darauf, dass Gott die Notwendigkeit erkannt hat, die Ecken, die Wendepunkte, zu verstärken - d.h. die Geistlichkeit gegenüber Gefahren und Unbilden einer Ecke, einer Wende von einer Linie zur andern, zu verstärken. Seht ihr, es ist das ZEUGNIS, das hier betroffen ist. Und lasst mich folgendes sagen: weit davon entfernt, am wenigsten davon betroffen oder am meisten dagegen immun zu sein, ist das Volk Gottes mehr als irgend jemand sonst in Gefahr, eben dieser Sache zu verfallen. Wenn es dem Feind gelingt, einen Christen auf diese niedrige Ebene des Lebens zu bekommen, an diesem einen Punkt, dann ist ihm ein Meisterschlag gelungen. Wenn es ihm gelingt, da einen Knecht Gottes zu überwinden, dann hat er mit Sicherheit seinen Grund gegen das Zeugnis Jesu konsolidiert. Davon gibt es eine lange und schreckliche Geschichte; sie erklärt vieles. Daher - «O Timotheus, Timotheus, fliehe die jungendlichen Lüste» (2. Tim. 2,22): Nimm dich in Acht vor dem Übergriff und den feindlichen Einfällen dieses moralischen Laxheit, die in der Welt vorherrscht - fliehen von ihr». Und das ein unnötiges Wort? Vergebt mir, wenn ihr das meint. Doch müssen wir eine Verstärkung gegen solche Dinge anbringen um des Zeugnisses willen.
Anständiges Verhalten und Äußeres im Hause GottesAber das ist noch nicht alles. Ich muss hier einige Dinge sagen, die ich lieber nicht sagen möchte, und wenn sie nicht auf euch persönlich zutreffen, dann kann eure Einsicht und euer Bewusstwerden dieser Dinge vielleicht andern helfen, die sich in Gefahr befinden. Denn ein anderes Merkmal der Veränderung und des sinkenden Niveaus der Geistlichkeit, wie sie in diesem Brief erwähnt wird, ist unanständiges Benehmen im Hause Gottes. Das Haus Gottes wird erwähnt, wie ihr feststellen könnt, und eines von Paulus mit Nachdruck betonten Wörtern ist «wie man sich verhalten soll im Hause Gottes» (1. Tim. 3,15); darum schrieb er das. Es gibt so etwas wie ein unanständiges Benehmen. Und er denkt dabei an die Frauen - die Frauen mit unanständiger Bekleidung oder mit mangelndem Anstand in Sachen Bekleidung. Das ist in der Tat etwas, was wir nicht gerne erwähnen, aber sollte man denn nicht auch darüber sprechen? Es ist ein Zeichen von armem geistlichem Leben, von einem niedrigen geistlichen Niveau, wenn das geschieht; diese Dinge sind ein Barometer für das geistliche Leben. Denn Geistlichkeit ist etwas eminent Praktisches. Wenn wir von «geistlichen Dingen» oder von «Geistlichkeit» sprechen, machen die Leute manchmal Witze darüber und sagen: «O, sie sind halt so geistlich!». Nun, wenn ihr so denken oder reden könnt, dann habt ihr keine Ahnung davon, was Geistlichkeit ist. Geistlichkeit ist etwas ungeheuer Praktisches: Es betrifft eure Bekleidung, es betrifft euer Benehmen, es betrifft euren Wandel als Christ! Geistlichkeit sagt: «Du wirst es nicht übertreiben, und die wirst es auch nicht untertreiben; du zeigst ein richtiges, würdevolles Verhalten». Darum geht es hier.
Aber ist es nicht ein Jammer, dass diese Dinge, die Paulus in Bezug auf Frauen geschrieben hat, herausgegriffen und für sich zum Thema gemacht worden sind, so dass Paulus der Vorwurf gemacht wurde, diese Dinge je gesagt zu haben? Das ist eine komplette Fehlanwendung. Warum nicht anerkennen, dass dies hinsichtlich des Niederganges des Christentums gesagt wurde, und dass diese Dinge Zeichen eines geistlichen Niederganges sind? Darum musste darüber gesprochen werden; sie sind kein Thema an sich. Natürlich hat jeder seine bestimmten Empfindungen darüber. Vielleicht nennt man euch altmodisch, nicht modern; ihr seid nicht mit der Zeit gegangen. Doch wenn ihr geistlich seid, habt ihr eine andere Art von Argument. Ihr werdet nicht hinter der Zeit her sein, und ihr werdet auch nicht mit der Zeit gehen; Ihr werdet euch mit dem Himmel bewegen, und das ist ein vollständig anderer Standard.
Anfang von Formalismus, Institutionalismus,Lasst uns noch andere Hinweise in diesen Briefen erwähnen. Äußerlich gesehen finden wir den Anfang einer vollständig neuen Situation im Christentum selbst. Es zeigt sich hier bereits der Anfang von starren Kirchenformen, Klerikalismus, Formalismus, Beamtentum in christlichen Ordnungen. Es ist alles schon da, es hat bereits eingesetzt. Paulus starb, Paulus wurde hingerichtet, und es gab eine Zeitspanne von ungefähr 25 Jahren ohne historischen Bericht darüber, was in dieser Zeit geschehen war. Dann kommen wir zu den Schriften von Johannes, und diesen folgt eine weitere Zeit des Schweigens. Dann aber fingen Menschen wieder an, zu schreiben, und wir haben die Schriften von Menschen, die wir Kirchenväter nennen. Und was finden wir? Sobald sie zu schreiben beginnen, gegen Ende des ersten christlichen Jahrhunderts, stellen wir fest, dass der Klerikalismus mit voller Kraft eingesetzt hat, ebenso die starren Kirchenformen. Das ganze Prinzip geistlicher Männer als Aufseher (über die Gemeinde) hat sich zu einem System von Prälaten, Bischöfen und was alles noch entwickelt - einem nicht neutestamentlichen System. Das ist Beamtentum: Männer in hohen, kirchlichen Positionen, die ganz offiziell regieren. Es ist gekommen; hier sind die Anfänge. Das, was einmal geistlich war - geistliche Männer, Männer Gottes, die als Aufseher über die Gemeinde und die Gemeinden fungierten, eben weil sie geistliche Männer waren - hat nun Menschen Platz gemacht, die Beamte sind, kirchliche Angestellte, Kleriker, usw. Ein ungeheurer Wandel hat stattgefunden, und das hat sich durch alle Jahrhunderte der Kirchengeschichte fortgesetzt.
Die christlichen Anordnungen wurden geändert, und die christlichen Lehren wurden verändert. Die Anordnung der Taufe z.B. wurde gegen Ende des ersten Jahrhunderts abgeändert. Ich werde nicht näher auf diese Dinge eingehen; ich brauche sie nur als Hinweis auf die Veränderung - auf den Wendepunkt an der Ecke - das konkrete Einbrechen von etwas Institutionellem an Stelle von dem, was zuvor organisch war, von etwas Institutionellem, an Stelle von dem, was zuvor geistlich war. Es ist die Abkehr von dem, was spontan geschah. Und wie spontan war es doch! In den frühen Tagen schoss die Gemeinde buchstäblich empor, drängte nach vorne, breitete sich aus und wuchs durch das bloße Leben, das in ihr war; nun ist alles organisiert, nun ist es eine sich ihrer selbst bewusste Größe, die ihre eigenen Anordnungen trifft, usw. Die Veränderung führte zu einem unendlichen Verlust an Kraft und zu all den unglücklichen Zuständen, wie wir sie heute haben.
Verantwortliche Männer in der GemeindeNun, der Punkt ist der, dass der Heilige Geist diesen Eingriff sah, sah, dass diese Sache anfing, und er versuchte, darauf zu reagieren. Durch Paulus ließ er diese Briefe schreiben, in denen er aufzeigte, dass Älteste und Aufseher in der Gemeinde wesentlich geistliche Menschen sein müssen: Sie müssen für ihr geistliches Leben und Maß bekannt sein, und ebenso für ihren moralischen Charakter; und alles im Hause Gottes muss seiner Natur und seinem Wert nach geistlich und nicht offiziell sein. Das Wort des Herr lautet deshalb, damals, heute und für immer: Wenn ihr die Kraft des Zeugnisses in dieser Welt zurückgewinnen wollt, dann gewinnt wahre Geistlichkeit zurück! Wenn ihr den Impakt und die Wahrnehmung wieder haben möchtet, die sie am Anfang kannten, müsst ihr den geistlichen Zustand wieder erlangen, der am Anfang existierte. Alles muss sein wie damals, nicht wie heute. Die Stellung eines Menschen im Hause Gottes hängt, soweit es Gott betrifft, von seinem geistlichen Wert ab, von nichts anderem. Ihr könnt ihn einkleiden und dekorieren und ihn «adeln» und ihn bei diesem oder jenem Namen nennen, doch bei Gott zählt nichts anderes als der geistliche Wert des betreffenden Menschen.
Und was für den Bereich derer gilt, die sich in einer Stellung der Verantwortung befinden, trifft auch auf alle andern zu. Paulus nennt Timotheus einen «Mann Gottes»; tatsächlich macht er es sehr persönlich, denn er sagt: «O, du Mann Gottes...». Das sagt er wegen Timotheus‘ besonderer Position der Verantwortung; doch, beachtet, dass Paulus diese selbe Wendung auch für alle anderen braucht, in derselben Schrift. Warum wurden die Schriften gegeben, und für wen wurden sie gegeben? Wurden sie nur Timotheus gegeben und den Aufsehern und Menschen in besonderer Verantwortung? Überhaupt nicht! «Jede Schrift wurde von Gott eingegeben... und sie ist nützlich» für dies und jenes, «damit der Mann Gottes...» (2. Tim. 3,16.17). Wer ist das? Jeder, dem die Schrift geschenkt wurde, wird «Mann Gottes» genannt. Wenn ihr also die Schriften habt, dann fallt ihr automatisch in diese Kategorie, unter diese Bezeichnung; ihr werdet für einen Mann, für eine Frau Gottes gehalten. Von uns allen wird erwartet, dass wir «Menschen Gottes» sind. Was sind «Gottes Menschen», die Menschen Gottes? Wiederum, dieser Titel gehört nur solchen, die sich in einer geistlichen, nicht in irgend einer formalen, offiziellen Position befinden. Sie sind, wo sie sind, wegen ihres geistlichen Lebens, Maßes und Wertes. Wir können das nicht stark genug unterstreichen.
Wir sehen daher etwas von der Krise, die mit diesem Wechsel von dem, was innerlich ist, zu etwas, das bloß noch äußerlich ist, verbunden ist - zu Ämtern und Funktionen, Positionen und Titeln - die Einführung von Formalismus. Paulus bringt es zurück zu dem, was es sein sollte - zu der Person selbst. Dort macht er es fest. Um die Dinge zurückzugewinnen, zu bewahren und zu schützen, muss die Verantwortung wieder in die Hände von geistlichen Männern und Frauen gelegt werden.
Die Schriften von Johannes -Es sind Andeutungen auf den Verlauf der Dinge, auf die Veränderung, die über das Christentum kommen sollte, und, wie ich bereits früher gesagt habe, gibt es so viele Beweise dafür. Paulus trat ab, aber irgendwo fuhr Johannes fort. Ihr wisst, dass Paulus in dem schrecklichen Holocaust von Verfolgung umkam, der zu Johannes‘ Exil geführt hatte. Irgendwo ist Johannes - und dann schreibt er sein Evangelium, das Evangelium von vorrangiger Geistlichkeit. Ihr habt es nicht nötig, dass ich verweile und euch zeige, dass das von Johannes verfasste Evangelium mit dem Ziel geschrieben wurde, die Dinge zu ihren geistlichen Grundlagen zurückzuführen. Und dann schrieb er auch noch seine Briefe: Und die Briefe von Johannes sind randvoll, von Anfang bis Ende, mit geistlichen Essentials - Leben, Licht, Liebe, usw. Und wenn ihr zu seiner Offenbarung gelangt und jene Kapitel lest, die den Ruf an die Gemeinden in Asien enthalten - die Gemeinden von Paulus - was findet ihr da? Voll von der Entwicklung jener Dinge, über die wir gesprochen haben! Moralische Laxheit: «Du duldest die Frau Isebel»; Formalismus, leere Show: «Du hast den Namen, dass du lebst, du bist aber tot»; und so weiter. Die Dinge sind eingetroffen.
Doch, aufs Neue, wie sieht die Reaktion des Herrn aus? Es ist die Reaktion auf eine geistliche Position. Was sind «Überwinder»? Überwinder sind einfach diejenigen, die den geistlichen Grund entweder bewahrt oder wieder gewonnen haben. Es ist nicht leicht, in einer Welt wie dieser, unter dem gegenwärtigen Lauf der Dinge, in einer Christenheit, wie sie nun einmal geworden ist, einen rein geistlichen Grund wieder zu gewinnen oder zu bewahren. Ihr werdet dafür leiden müssen, so hat der Herr es voraus gesagt. Ich wage zu sagen, dass es viel schwieriger ist, einen klaren, geraden geistlichen Kurs im Christenleben aufrechtzuerhalten, als einfach als Christ in dieser Welt zu leben. Als Christ in dieser Welt zu leben mag schwierig sein, doch werdet ihr feststellen, dass es im Christentum Schwierigkeiten gibt, denen ihr in der Welt nie begegnet. Habe ich recht? Ja, «eines Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein» hat eine weitreichendere Bedeutung. Ein geistlicher Kurs im Christentum ist außerordentlich schwierig - wegen der Christen. Das Christentum ist weitgehend zum Feind echter Geistlichkeit geworden.
Das sind starke Dinge, die da gesagt werden müssen, aber seht ihr, es ist eine Angelegenheit der Effektivität des Zeugnisses, der Reinheit des Zeugnisses. Ich rede im Augenblick nicht einmal von der lehrmäßigen Seite der Dinge. Ein großer Teil dieser Briefe befasst sich mit der Abweichung von der früheren Lehre, und ich werde später bis zu einem gewissen Grade darauf zurückkommen. Worum es mir im Augenblick geht, ist dies, zwei Dinge zu demonstrieren: 1. dass diese Art der Krise geschieht, dass es etwas ist, das immer wieder geschieht, es ist auf der ganzen Linie ein lauerndes Übel, um von der vollen, hohen, geistlichen Ebene, zu der uns der Herr berufen hat, abzufallen zu etwas Niedrigerem und Geringerem; und dann, 2. dass Gott immer und stets reagiert hat, und dass er noch immer reagiert, indem er versucht, sein Volk auf eine höhere geistliche Ebene der Dinge zu bringen, ihr geistliches Maß, ihr geistliches Leben, zu vermehren. Es ist der einzige Weg, um zu überwinden, es ist der einzige Weg, durchzukommen, und (um zu den Briefen zurückzukommen) um am Ende fähig zu sein, dem Herrn das anvertraute Gut unversehrt zurückzugeben. «O Timotheus, bewahre das dir anvertraute Gut» (1. Tim. 6,20). «Bewahre das Depot! Gib es am Ende zurück, unbefleckt, unversehrt, unvermindert, intakt!» Paulus sagte von eben dieser Sache: «Ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten» (2. tim. 4,7) - «Timotheus, greife es auf und tue dasselbe». Das ist der Effekt davon. «Bewahre das, was dir anvertraut wurde» - das Depot Gottes.
Timotheus, ein Instrument der göttlichen ReaktionNun lasst uns auf besonderere und spezifischere Weise auf die göttliche Reaktion zu sprechen kommen. Ich möchte euch bitten, folgendes zu beachten. Timotheus selbst wurde an diesem Punkt als Instrument für die göttliche Reaktion auf den bestehenden Trend der Dinge ausgezeichnet. Und deshalb nimmt Timotheus die Rolle eines ZEICHENS an. Nun, das ist keine neue Idee in der Bibel, nicht wahr? Hesekiel wurde vom Herrn mitgeteilt, er habe ihn zu einem Zeichen für das Haus Israel gemacht (Hesek. 12,6.11; 24,24.27). Und Timotheus tritt diese Funktion in der Tat als ein Zeichen an: Er selbst muss vorstellen, was geistliche Merkmale sind, was echte Geistlichkeit ist. Werfen wir deshalb einen Blick auf Timotheus - zuerst einmal, sagen wir, in negativer Hinsicht - indem wir daran denken, dass er selbst ein Symbol für die Dinge sind, die wesentlich wiederhergestellt werden müssen. Wir werden hier viel Trost und Hilfe finden, wir alle. Welches sind diese Zeichen?
Zuerst einmal, Schwachheit. Ihr könnt Timotheus verachten, wenn ihr wollt; sie taten es jedoch nicht, als er lebte. Paulus sagte zu ihm: «Niemand soll deine Jugend verachten» (1. tim. 4,12). Von Natur aus wäre er zu verachten gewesen wegen seiner Schwachheit. Dann aber auch, Abhängigkeit. Es sah so aus, als würde Paulus ihm ein Paar Krücken besorgen, um ihm zu helfen, auf seinen Füßen zu stehen! So vieles von dem, was Paulus Timotheus schrieb, wies auf diese Dinge über ihn hin. Wenn man natürlicherweise von Timotheus sprechen wollte, müsste man sagen, er sei offensichtlich ein sehr schüchterner, nervöser junger Mann gewesen, der es ständig nötig hatte, aufgepäppelt zu werden. Gewiss, Timotheus muss sehr schwach gewesen sein, und wir können sehen, dass all diese Dinge nötig waren!
Schwachheit und Abhängigkeit,Betrachtet es so, wenn ihr wollt; aber man kann es auch noch anders sehen. Das ist der passendste und meist versprechende Grund für Geistlichkeit - tatsächlich ist es für das, hinter dem Gott und Paulus hinterher sind, absolut unerlässlich. Was wollen wir über Timotheus sagen? Paulus hielt sehr viel von ihm; Paulus, der sich gewöhnlich in Sachen Weisheit und Diskretion nicht irrte, postierte Timotheus auf eine sehr, sehr wichtige Stelle. Timotheus war ein Apostel, obwohl er nie so genannt wurde. Timotheus war ein Ältester, obwohl er nie so genannt wurde. Aber Timotheus war noch mehr. In Timotheus fand sich eine Kombination von allen Funktionen, vom Evangelisten bis zum Gemeindebauer. «Tue das Werk eines Evangelisten». Er war DER Älteste unter den Ältesten in Ephesus - keine geringe Verantwortung! Denkt an Ephesus! Was dachte Paulus sich wohl, als er jemanden wie Timotheus schickte, um die Dinge in Ephesus wieder in Ordnung zu bringen! Widersinnig, einen jungen Mann wie diesen zu senden!
Nun, geistliche und natürliche Fähigkeiten existieren in vollkommen verschiedenen Welten. Und wenn Gott reagiert, um etwas wieder herzustellen, oder wenn er handelt, um gegen eine Bedrohung, eine Gefahr, ein Unglück einzuschreiten, welche die Charakteristiken aufzeigen, die wir genannt haben, bringt er sein Instrument herunter bis zur Nichtigkeit - er entleert es und lässt es seine Schwachheit und Abhängigkeit um so mehr bewusst werden, mehr als irgend etwas anderes. In diesem größten aller Werke Gottes - der Aufrechterhaltung seines Zeugnisses in absoluter Reinheit und Wahrheit - gibt es unter denen, die darin involviert sind, keinerlei Platz für Anmaßung: dass man etwa annimmt, man sei etwas, oder man könne etwas tun, oder man sei zu diesem oder jenem berufen. Und ebenso wenig gibt es keinen Platz für Vermessenheit - dass man Gott voraus eilt, dass man dem Geist voraus eilt. Es gibt auch keinen Platz für Selbstbewusstsein, für Selbstgenügsamkeit, für Selbstsicherheit - keinen Platz für irgend eines dieser Dinge. Wenn wir, ihr und ich, für geistliche Zwecke gebraucht werden wollen, wird Gott uns in seine Hand nehmen und den letzten Tropfen von irgend etwas dergleichen aus uns herauspressen, bis wir zur Einsicht gelangen, dass wir von allen Menschen die ungeeignetsten, die unpassendsten sind für das, wozu Gott uns berufen hat; dass wir von allen menschlichen Standpunkten aus gesehen kein Recht haben, überhaupt in dieser Position zu sein. Das ist Gottes Art, geistliche Männer und Frauen hervorzubringen.
Kraft durch GnadeNun, wenn ihr in eurer geistigen Aktivität schlau seid, dann denkt ihr vielleicht, jetzt hättet ihr mich erwischt, denn in diesen Briefen sagt Paulus zu Timotheus, er solle stark sein, und eben habe ich gesagt, er müsse schwach sein! Genauso gut kann Paulus ihm sagen, er solle voll sein, ich aber habe gesagt, er müsse leer sein! Nun ja, doch wenn Timotheus all das sein soll, was Paulus gesagt hat, dass er sein müsse, dann muss das alles geistlich und nicht natürlich vor sich gehen. Wird das durch den Kontext bestätigt? Natürlich! «Sei stark» - aber es endet nicht hier. «Sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist» (2. Tim. 2,1). Das ist keine eigene Stärke, das ist keine natürliche Stärke irgend welcher Art. «Die Gnade, die in Christus Jesus ist» - sei stark darin. So können wir sehen, was die Gnade im Falle von Timotheus ist, als ein Symbol von Gottes reaktionärer Methode und Gottes Mittel in Tagen des Niederganges. Die Kraft muss geistliche Kraft sein.
Das betrifft zwei Seiten. Es ist ein Wort der Ermutigung an jene, die sich ihrer Kraftlosigkeit bewusst sind, die nur ihre Schwachheit fühlen; das soll gleichsam heißen: «Schau, das ist überhaupt nicht das Kriterium, wie schwach du dich fühlst; das Kriterium ist vielmehr «die Gnade, die in Christus Jesus ist». Aber es gilt auch in der anderen Hinsicht. Sollte jemand von uns das Gefühl haben, er könne es tun, und sich in die Situation oder in die Position hineindrängt, sie voranbringt, anmaßend oder gar vermessen, dann haben wir eine schlechte Zeit vor uns unter der Hand Gottes - d.h., vorausgesetzt, der Herr kann uns überhaupt brauchen. Jede solche Einstellung wird entleert werden.
«Niemand verachte deine Jugend». Nun, wie soll Timotheus reagieren, wenn er feststellt, dass die Menschen ihn verachten? Angenommen, ihr wärt ein junger Mann: Wie würdet ihr reagieren, wenn ihr an seiner Stelle wärt, und ich zu euch sagte: «Lasst nicht zu, dass sie euch verachten. Lasst nicht zu, dass sie diese Einstellung euch gegenüber einnehmen!»? Was würdet ihr tun? Ihr könntet sehr heftig im Fleisch handeln, nicht wahr? Ihr könntet anfangen, wie sie in Amerika sagen, recht eingebildet - damit meinen sie «pfauenhaft» - und alles mit einer falschen Würde verderben, durch eine gekünstelte Persönlichkeit, die ihr nicht seid. Autorität im Hause Gottes ist geistlich. Ein Mann oder eine Frau besitzt Autorität, die ein echtes geistliches Maß besitzen, das Gewicht hat, das zählt, und das Einfluss hat. Von der Natur her mögen sie verachtenswert sein, doch sobald sich bei ihnen ein geistliches Maß findet, werdet ihr sehen, dass sie in Zeiten der Schwierigkeit diejenigen sind, an die sich die Leute wenden. Wir werden später noch einmal auf die geistliche Autorität zurückkommen.
Die Erkenntnis und das Verständnis müssen geistlich sein. Das Amt, sofern ihr dieses Wort verwenden wollt, sei es Ältester, Aufseher, Lehrer, Evangelist oder was auch immer, es muss geistlich, und nicht offiziell, beamtenmäßig, sein. Ihr tut das, weil ihr das seid. Es kommt einfach hervor, weil ihr geistlich so konstituiert seid - der Heilige Geist hat euch so konstituiert. Und es ist eine armselige Sache, zu versuchen, ein Evangelist oder Lehrer zu sein, wenn der Heilige Geist euch nicht zu einem solchen gemacht hat. Oh, was für Tragödien haben wir gesehen bei Leuten, die versuchten, Lehrer oder was auch sonst zu sein, weil sie es gerne sein wollten, weil sie es attraktiv fanden, und der Heilige Geist hatte sie dafür nicht dazu qualifiziert. Es ist wie der Schwanz eines Pfaus - wenn er verschwunden ist! Er stolziert noch immer herum, aber das ist hinten nichts mehr! Gibt es etwas Pathetischeres als das? Was nützt das alles, wenn es nicht vom Heiligen Geist kommt?
«Ertrage Trübsal» - Schwierigkeiten - «als ein guter Soldat» (2. Tim. 2,3). Ertrage - denkt einen Moment lang nach, was zu ertragen Timotheus zu jenem Zeitpunkt aufgerufen wurde. Vielleicht habt ihr keine Vorstellung von der Situation. Ich habe kürzlich den Bericht über jene Christenverfolgungen wieder gelesen, die unter Nero auftraten, und auch diejenigen von Seiten der Juden, die unaussprechlichen Schrecken der Grausamkeit an Männern, Frauen, Kindern und Familien. Ich würde euch schockieren, würde ich die unmenschlichen, unbeschreiblichen Grausamkeiten erwähnen, die buchstäblich Hunderttausende von Christen von jenen römischen Herrschern zu erdulden hatten. Als Nero den Befehl gab, Rom abzufackeln, brauchte er einen Sündenbock, dem man die Schuld dafür anhängen konnte, und so bezichtigte man die Juden; doch die Juden sagten «nein», es waren die Christen. Und so wurden die Christen gefasst. Ihr seid nicht überrascht von den Leiden der Juden, nicht wahr? Nicht nur Christus, sondern Hunderttausende seiner kostbaren Kinder wurden jahrzehntelang durch unaussprechliche Todesqualen gefoltert.
Timotheus stand in Gegenwart dieses wachsenden Schattens. Er wusste, dass sein Vater in Christus im Gefängnis war und dass er bald den Tod erleiden würde. Er wusste, dass diejenigen, die Paulus in Rom nahe gestanden waren, ihn verlassen hatten. Und Paulus sagte: «Bei meiner ersten Verteidigung stellte sich niemand zu mir, sie ließen mich alle im Stich» (2. Tim. 4,16). Timotheus war bereits mitten drin! Ertragen! Wer konnte das ertragen, wenn nicht durch die mächtige Kraft des Heiligen Geistes? Ihr verlangt nach dem geistlichen Maß dafür, ihr benötigt die ausdauernde Kraft Christi dafür; das ist geistliches Ertragen, nicht bloß natürlicher Mut.
So sehen wir also, dass, in allen Zeiten der Gefahr in seiner Gemeinde, jedesmal, wenn Gefahr drohte, wenn die Dinge bedrohlich wurden und eine Wende sich abzuzeichnen begann, der Herr stets zu allererst versucht, sein Volk auf einen höheren geistlichen Grund zu bringen: Er trachtet stets danach, das geistliche Maß zu vermehren, die Dinge von einem nur professionellen, formellen Niveau auf den Grund des geistlichen Lebens und eines geistlichen Charakters zu heben. Und zweitens versucht er, uns daran zu erinnern, dass wir «Menschen Gottes» sind; wir sind nicht die Menschen eines Systems, nicht Menschen der Welt, nicht Menschen unserer eigenen natürlichen Ambitionen - wir sind Menschen Gottes. Es ist bedeutsam, nicht wahr, das der Name Timotheus «Gott ehren» bedeutet. Das ist der Schlüssel zu allem, sowohl bei ihm wie auch bei uns. Das ist Geistlichkeit.
In Übereinstimmung mit dem Wunsch von T. Austin-Sparks, dass das, was er frei erhalten hat, weitergegeben und nicht gewinnbringend verkauft werden sollte und dass seine Botschaften Wort für Wort reproduziert werden, bitten wir Sie, diese Botschaften mit anderen zu teilen und frei anzubieten, um seine Wünsche zu respektieren - frei von jeglichen Änderungen, kostenlos (außer notwendigen Vertriebskosten) und mit dieser Erklärung inklusive.